Tuan oder Tony, Yasemin oder Jasmin – Wie viel Identität steckt in einem Namen? Welche Gedanken machen sich Migranten-Eltern bei der Namensgebung ihrer Kinder? Und was geschieht, wenn wir oder andere unseren Namen verformen?
An einem Abend, kurz vor dem Schlafengehen, erzählte mir das Kind davon. Wir sind vor einigen Monaten umgezogen, das Kind musste in einen anderen Kinderladen wechseln. Hier heißen die Kinder Ronja, Sofia, Elias, Lea oder Mio.
„Sie nennen mich Haselnuss. Das will ich nicht. Das ist nicht mein Name.“
Haselnuss, really? Prenzlberger Arschlochkinder, dachte ich nur. In den nächsten Minuten machten wir uns daran, die Namen der anderen Kinder in Gerichte umzuwandeln. Ronja zu Rollbraten. Mio zu Misosuppe. Gut, Kreativität ist was anderes. Und zugegeben, das war nicht mein stärkster pädagogischer Moment. Aber unser kleines Wortspiel hat es ein wenig getröstet. Ihm gezeigt, dass die anderen Kids nicht allmächtig waren.
Ich hatte auch Namen, die nicht meins waren. Es waren sogenannte „Spitznamen“, die ich mir nicht selbst ausgedacht habe. Türzu, Tweety, Tyrann zum Beispiel. Meistens waren sie nicht böse gemeint. Die Mitschülerin, die auf Tweety kam, wollte mir anscheinend sogar einen Gefallen tun. „Tweety klingt doch süß“, sagte sie damals. Andere fanden die Wortspiele mit meinem Namen einfach lustig. Mir gefielen sie solala, ich sagte aber nichts dazu. Oder noch schlimmer: Ich lachte mit und nahm sie an. Erst sehr später fragte ich mich, ob auch die Franziskas, Johannes und Emmas in ihrem Leben genauso viele krumme Versionen ihres Namens bekamen. Klar, auch andere Kinder kämpfen mit Sticheleien. Dafür reicht ein (Spitznamen) anfälliger Name, ein peinliches Ereignis – oder es sind schlichtweg Arschlochkinder, die es nicht lassen können. Bei Kindern mit Migrationshintergrund wird aber nicht nur das Selbstwert-, sondern auch das Zugehörigkeitsgefühl angegriffen. Und das tut weh.
Wie die anderen Eltern haben mein Ex und ich ziemlich lange über den Namen für das Kind nachgedacht. Ja, mir war der Klang des Namens sehr wichtig – wie es übrigens bei vielen jungen Eltern der Fall ist („phonetische Attraktivität“). Doch eine Frage stand bei uns ebenfalls im Raum: Geben wir ihm einen vietnamesischen oder einen deutschen/westlichen Namen?
Wir sind nicht die einzigen, die solche Überlegungen haben. Die Soziolog*innen Jürgen Gerhards und Sylvia Kämpfer haben 2017 in Gruppendiskussionen mit über 50 Migrant*innen über deutsche und herkunftsspezifische Vornamen geredet, darüber, welche (diskriminierenden) Erfahrungen sie mit ihren gemacht haben und wie sie ihre Kinder nennen würden. Ich empfehle, die Studie unbedingt durchzulesen, allein die darin geschilderten Erfahrungen gehen unter die Haut.
Zum Beispiel erzählt eine vietnamesisch-stämmige Probandin, dass eine Erzieherin ihr (aus Spaß) einen anderen Namen vorschlug, weil sie ihren richtigen Namen nicht aussprechen könne. „Und dann war das die Entscheidung zwischen Steffi und Tine und dann hab ich seit der ersten Klasse Steffi angenommen.“ (Gerhards/Kämpfer 2017, S. 313). Andere berichten von ihrer Namensänderung bei der Einbürgerung. Entweder entscheiden sie sich bewusst dafür, oder es wird ihnen suggeriert, ihren Namen leicht anzupassen – aus Vitalij wird Vitali, aus Andrij wird Andreas. Wiederum andere bestehen auf ihren herkunftsspezifischen Namen und die richtige Aussprache. Ein Proband erzählt, dass er in Vorstellungssituationen die James Bond-Methode benutzt. „Mein Name ist Petrovic, Dragan Petrovic.“ (Gerhards/Kämpfer 2017, S. 317).
Vornamen geben Anhaltspunkte über das Geschlecht, die Generation, manchmal sogar die soziale Herkunft und die ethnische Identität. Alle Teilnehmer*innen aus der Studie sind sich darüber im Klaren und gehen sehr bewusst damit um. Sie entwickeln Strategien. Gerhards und Kämpfer identifizieren aus den Gesprächen vier Typen (hier grob zusammengefasst):
Typ 1 empfindet seinen (herkunftsspezifischen) Namen vor allem als Makel oder als Problem. Um Diskriminierung oder Stigmatisierung zu vermeiden, wählt er einen deutschen/westlichen Vornamen. Typ 2 vereinfacht seinen Vornamen. Für sein Kind sucht er einen Namen aus, der für Deutsche vertraut klingt bzw. leicht auszusprechen ist. Typ 3 steht zu seinem herkunftsspezifischen Vornamen und seiner korrekten Aussprache. Er verfolgt mitunter eine Politik des Protests. Typ 4 wählt ebenfalls einen herkunftsspezifischen Vornamen – aber aus einem Traditionsbewusstsein heraus.
Es gibt kein Richtig und kein Falsch – das betonen auch die Wissenschaftler*innen in der Studie. Welche Strategie eine Person wählt, ist letzten Endes abhängig von ihren Erfahrungen, ihrer Persönlichkeit und ihrem Umfeld. Manche verfolgen verschiedene Strategien je nach Situation. Manche ändern sie im Laufe ihres Lebens.
Ich bin wohl Typ 2. Ich habe sehr früh gemerkt, dass die Aussprache meines Namens für Deutsche nicht ganz ohne ist. Um es meinen Mitmenschen möglichst leicht zu machen, habe ich meinen Namen vereinfacht. Ich verzichte auf die Tonalität und lasse schwierige Konsonanten weg. Ich sage zum Beispiel: „Hallo, ich heiße Thuy Anh. Aber nenn mich einfach Tü Ann.“ Oder ich mache mir nicht mal mehr die Mühe, meinen Namen richtig auszusprechen, sondern gebe gleich die einfache Variante vor. Vietnamesische Namen sind bedeutungsreich, mitunter sogar poetisch. Wenn wir sie vereinfachen, einen Laut weglassen oder die Feinheiten ignorieren, ändern wir nicht nur die Aussprache, sondern auch ihre Bedeutung. Daran habe ich als Kind nicht gedacht.
Mittlerweile habe ich mich so sehr an die vereinfachte Aussprache gewöhnt, dass sie Teil meiner Identität ist. Seitdem ich mich mit diesem Thema beschäftige, bitte ich meine Freundin, mich Thuy Anh zu nennen. Ehrlich gesagt ist es für beide ungewohnt. Aber es ist ein Versuch. Ein Freund nennt mich von Anfang an nicht „Tü Ann“ wie die meisten, sondern „Thuy Ang“. Er hat nämlich mitbekommen, dass seine vietnamesisch-stämmige Frau meinen Namen anders ausspricht. Ich war sehr gerührt, dass er es bemerkt hat und sich Mühe gibt. Manche fragen nach, wie ich richtig ausgesprochen werde. Dann reden wir über meinen Namen, über seine Bedeutung und proben einige Male, ihn richtig auszusprechen. Und dann, selbst wenn sie im Alltag wieder bei der vereinfachten Version bleiben, weiß ich, dass sie sich Gedanken gemacht haben.
Heute Abend erzähle ich dem Kind etwas über seinen Namen. Dass sein Name, wie ich es ihm bisher beigebracht habe, unvollständig sei. Da fehlt nämlich noch eine Tonalität, ein weiches Herabsinken beim Vokal. Erst dieser Ton gibt dem Namen die Bedeutung, die wir ganz speziell für das Kind ausgesucht haben.
Hier weitere Links zum Thema:
- America, Say My Name (Viet Thanh Nguyen, New York Times, 2019)
- What’s in a name? (Thuy Vo Dang, diacritics.org, 2010)
- Warum ich mal „Setare“ und mal „Franziska“ heiße (Franziska Koohestani, jetzt.de, 2019)
- „Symbolische Grenzen und die Grenzarbeit von Migrantinnen und Migranten“ (Jürgen Gerhards / Sylvia Kämpfer, Zeitschrift für Soziologie, 2017)
- „Mein echter Vorname war mir fremd“: Warum diese Menschen heute anders heißen als früher (Hatice Kahraman, bento.de, 2016)
- Im Namen des Trends (Tanjev Schultz, sueddeutsche.de, 2010)