Aktivismus Vietnam

#FreePhamDoanTrang

Sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie verhaftet werden wird. Einem Freund hinterließ die Aktivistin deshalb einen Brief. „I don’t want freedom for just myself: that’s too easy. I want something greater: freedom for Vietnam.“ 

Vor drei Monaten, in der Nacht vom 6. Oktober, wurde Phạm Đoan Trang in ihrer Wohnung in Ho-Chi-Minh-Stadt festgenommen. Die Polizei brachte sie an einen unbekannten Ort, später ins Gefängnis Hoa Lo in Hanoi. Die Anschuldigung: Propaganda gegen den Staat. Dafür könnte sie bis zu 20 Jahre in Haft gehen.

Ich hatte die Ehre, Phạm Đoan Trang vor 9 Jahren persönlich kennen zu lernen. Damals arbeitete Trang als Journalistin für die Zeitung Phap Luat Tp Ho Chi Minh (Law Press of Ho Chi Minh City) und schrieb auf ihrem Blog politische Analysen. Ein Bekannter hat uns vorgestellt. An einem kühlen Januartag trafen wir uns in einem Café in Hanoi. Zur Vorbereitung habe ich einige ihrer Artikel gelesen. Ihre Themen waren hochkomplex. Ihr Schreibstil scharf, präzise und unerschrocken. Im direkten Gespräch sprach sie leise – fast flüsternd. Was sie ausstrahlte und erzählte, haute mich um. Eine Stunde lang sprachen wir über das Mediensystem in Vietnam und über das Selbstverständnis von vietnamesischen Journalist*innen.

Fragt man, wer mich in meinem Leben bisher am meisten beeindruckt hat, ist meine Antwort: Phạm Đoan Trang. Ich war damals Studentin, neugierig und naiv. Ich lebte wohlbehütet in Deutschland und flog in den Semesterferien nach Hanoi, um für meine Bachelorarbeit vietnamesische Journalist*innen zu interviewen – im Gepäck meinen Fragenkatalog und das bisschen Wissen aus Erzählungen, Büchern und Artikeln. Ich wusste, dass Vietnam in der Rangliste der Pressefreiheit auf den letzten Plätzen stand, dass die offiziellen Medien von der Regierung kontrolliert werden und dass Journalist*innen nur so kritisch berichten dürfen, wie es die Partei erlaubt. Erst die Begegnung mit Trang hat mir gezeigt, wie viele sich dagegen wehren und wie stark ihr Drang ist, das System zu ändern. Es sind keine Außenstehenden, die reinschauen und verurteilen, sondern Menschen, die in Vietnam geboren und aufgewachsen sind, die dort mit Familie und Freund*innen leben. Ihr Kampf um Presse- und Meinungsfreiheit ist ein Kampf um existenzielle Rechte, um das Recht der Aufklärung, um das Recht, Missstände kritisieren und Unwahrheiten anprangern zu können. Wie gefährlich und persönlich dieser Kampf ist, kann ich mir nur einen Bruchteil vorstellen. 

„Working as a journalist, I knew that it would be difficult to have a family. And when I became an activist, I became more certain that I couldn’t have a family. It’s impossible and inadvisable.“

In diesem sehr wichtigen und eindringlichen Video (7 Minuten, mit englischem Untertitel) erzählt Phạm Đoan Trang, warum sie Journalistin und später Aktivistin geworden ist. Am Ende hat sie eine empowernde Botschaft an (vietnamesische) Frauen – bitte anschauen:

Trang wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie verhaftet werden wird. Jahre lang kritisierte sie – als Journalistin, Autorin und Aktivistin – politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Vietnam. Sie prangerte Menschenrechtsverletzungen und Polizeigewalt an, setzte sich ein für LGBTQ-Rechte, organisierte Umweltproteste und klärte von der Regierung vertuschte Versagen auf – wie die Umweltkatastrophe Formosa Ende 2015. Sie ist Herausgeberin des unabhängigen Verlags Nhà xuất bản Tự Do (Liberal Publishing House) und veröffentlichte Bücher über politische Aufklärung, zivilen Widerstand und Bürgerrechte. Ihr Anliegen: „My truest wish is to lift people up. What does that mean? Provide them with knowledge, skills, information and respect. Lift them up and let them know they’re respected.“ 

Mehrmals wurde sie vorübergehend festgenommen, auf Demonstrationen angegriffen oder überfallen. Um sie unter Druck zu setzen, veröffentlichte die Polizei intime Fotos von ihr ins Internet. 2018 wurde sie in Polizeigewahrsam geschlagen und musste im Krankenhaus behandelt werden. In den vergangenen Jahren lebte sie in Vietnam im Untergrund. Vor einem Jahr hinterließ sie einem Freund einen Brief – Überschrift „Just in case I am imprisoned“.  

„I don’t want freedom for just myself: that’s too easy. I want something greater: freedom for Vietnam.“ 

In ihrem Brief macht Trang auf die perfide catch-and-release-Strategie der vietnamesischen Regierung aufmerksam. Sie würde systematisch Aktivist*innen verhaften und zu einem „geeigneten“ Zeitpunkt wieder entlassen, um sich zu profilieren und internationale Verträge auszuhandeln. In einem Interview vor ihrer Entlassung erläutert Trang: „I hope that if I or some other activists must go to jail, it will actually mean something. It has to create a certain pressure against the government, forcing the regime to change. It must not be something for them to abuse and exploit. We are not a commodity for the government to barter, or the make trade deals with other nations, to benifit only those in power, but not the common people.“(05:30)

Das ganze Interview mit Trang könnt ihr hier schauen (mit englischem Untertitel): 

Pressemeldungen, Insta-Posts und Tweets. So und so viele unabhängige Journalist*innen und Aktivist*innen verhaftet. Auf einer Demo verletzt. Unter Druck gesetzt. Sie wird entlassen. Er beantragt Asyl im Ausland. Wir bekommen diese Infos mit und reagieren ehrlich bestürzt. Doch irgendwann wird es zu viel. Wir scrollen weiter, weil alles so weit entfernt ist und uns nicht wirklich betrifft. Irgendwann sind sie nur noch das: Worte, Zahlen, Fakten. Und wir verdrängen, was sie wirklich bedeuten. Was es für ein Kind bedeutet, wenn die Mutter verhaftet wird, für die Eltern, wenn der Sohn von der Polizei verprügelt wird, für die Aktivist*innen selbst, wenn sie gezwungen werden ihre Heimat zu verlassen. Die Heimat, für die sie so hart gekämpft haben. 

Und dann weiß ich auch: Selbstverständlich können wir nicht alles im Blick behalten und überall mitwirken. Jede*r von uns hat begrenzte Kapazitäten und eigene Kämpfe auszutragen. Auch Ablenkungen durch den Alltag sind nachvollziehbar. Aber vielleicht können wir ab und zu kurz innehalten, ihre Geschichten lesen, ein sechs-minütiges Video anschauen und für fünf Minuten eine Petition unterschreiben.

Am Ende ihres Briefes hat Phạm Đoan Trang noch einen persönlichen Wunsch geäußert: „Send me my guitar and try to have the wardens accept it – For me, the guitar is like my Bible.“ 

Aktionen, um Pham Doan Trang zu unterstützen: 

Weitere Links:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert