Migration und Identität

„In welcher Sprache sprichst du mit deinem Kind?“

Foto: Sophie Dale / Unsplash

In ihrem Buch „Sprache und Sein“ schreibt Kübra Gümüşay in den ersten Seiten über die Schönheit und Eigenheit verschiedener Sprachen. Über Identität. Das hat mich nachdenklich gemacht. Nun stelle ich mir viele Fragen. Zum Beispiel die, warum es mir heute so schwer fällt, mit meinem Kind Vietnamesisch zu sprechen. 

Vor sechs Jahren besuchte ich für einen Artikel einen bilingualen Kindergarten in Berlin. Ungefähr zu dieser Zeit flackerte in den Medien wieder einmal die Diskussion auf, in welcher Sprache Kinder aus Migrantenfamilien zu Hause sprechen sollten. Da mich die Frage persönlich betraf, stellte ich sie einer Erzieherin im Interview. Ihre Antwort: „Sprechen Sie mit Ihrem Kind in Ihrer Muttersprache – in der Sprache, mit der Sie das Kind trösten und ihm Kinderlieder vorsingen können.“ Ähnlich wie sie empfahl auch der Großteil der Sprachwissenschaftler*innen, Pädagog*innen und Politiker*innen. Ich entschied, genau das zu tun. In den ersten drei Jahren sprachen wir alle – meine Eltern, mein damaliger Freund und Vater des Kindes – mit ihm Vietnamesisch. 

Doch wenn heute Menschen mich und mein Kind sehen, hören sie etwas anderes. Sie hören uns Deutsch sprechen. Zu Hause, in der Bahn, sogar unter Vietnamesisch sprechenden Menschen. 

„In welcher Sprache sprichst du mit deinem Kind?“ Das ist eine Frage, die mir Menschen sehr häufig stellen. Heute antworte ich: Deutsch. Oft fühle ich mich unwohl dabei, habe das Gefühl, mich erklären zu müssen: Dass, als sein Vater und ich uns trennten, der große „vietnamesische“ Sprachteil mit ihm gegangen sei. Dass es mir schwer falle, Vietnamesisch zu sprechen, weil ich in meiner Arbeit und im Alltag kaum Vietnamesisch benutze. Dass ja noch die Großeltern mit ihm Vietnamesisch sprechen würden und das als Input erst einmal ausreiche. Dass mein Kind später immer noch Zeit haben werde, Vietnamesisch zu lernen. 

All diese Punkte sind irgendwie richtig. Trotzdem nagt es an mir, dass mein Kind sein Vietnamesisch nach und nach vergisst und sich damit eine Welt für ihn verschließt. Ich wünschte, ich könnte mit ihm mühelos Vietnamesisch sprechen. Aber es fällt mir schwer. Wie oft habe ich vorgeschlagen, dass wir an bestimmten Tagen, am Wochenende oder wenn wir unter uns sind, Vietnamesisch sprechen üben. Leider verfalle ich immer wieder ins Deutsche zurück. Dabei kann ich Vietnamesisch nicht nur sprechen, lesen und schreiben. Ich habe früher sogar Kurzgeschichten und Fanfictions auf Vietnamesisch geschrieben und schaue immer mal wieder vietnamesische Youtube-Videos. 

Meine Vermutung: Es hat damit zu tun, dass ich in den letzten Jahren sehr intensiv reflektiere. Über Erlebtes und Gehörtes, über meine eigene Familie und andere, über Erziehung, Traditionen und Denkweisen. Darüber, warum ich als Kind in der Familie nie offen diskutieren oder streiten durfte. Oder warum mein Queerness sie beschämt. Vieles davon hat mich so wütend und traurig gemacht, dass ich mich ein ganzes Stück von dem Vietnamesischsein und allem, was ich damit verbinde – Sprache, Kultur, Menschen – entfernt habe. 

Es war keine Sache von einem Tag auf den anderen. Aber mit der Zeit schaute, las und sprach ich weniger vietnamesisch, lehnte Treffen mit vietnamesischen Familien ab, vergaß das Tet-Fest und kochte kaum vietnamesisches Essen. Unbewusst habe ich damit auch mein Kind von all dem entfernt. 
Es war für mich notwendig, über das Falsche, das Ungerechte und das Alte nachzudenken. Gleichzeitig möchte ich das Spannende, Schöne, Vielversprechende (wieder)finden. Ich möchte vietnamesische Feminist*innen kennen lernen, erfahren, wie es um die Community steht, hören, was Kinder und Jugendliche mit vietnamesischen Wurzeln heute beschäftigt. Bücher vietnamesischer Autor*innen lesen und Filme oder Youtube-Channels von Vietnames*innen schauen. Und zwischendurch mal wieder vietnamesisch kochen und backen – zum Beispiel den Schweinehautkuchen.

Bisher tat ich es leise und im privaten Umfeld. Nun möchte ich diese Gedanken hier niederschreiben. Auf meine Art und Weise – lauter sein. Bei Tathuytata wird es also ziemlich bunt, mal ernst mal quirlig, auf jeden Fall wütend und auch wieder nicht. 

Bleibt noch die Frage, ob das Kind und ich irgendwann wieder Vietnamesisch sprechen.

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